Terrier - hart aber herzlich - ein Text für Welpeninteressenten

Amber

Foristi
Teammitglied
Hart aber herzlich - ein Text für Welpeninteressenten
Ich bekam den Vorschlag, dass Interessenten und frischgebackene Terrierbesitzer den Text einmal täglich lesen sollten für die ersten zwei bis drei Lebensjahre - der Vorschlag hat mir sehr gut gefallen ;)

Mit einem Welpen oder Junghund bekommen Sie ein fühlendes Geschöpf, das seine Emotionen auf die eine oder andere Art zeigen wird.
Die direkteste Kommunikation ist die mit den Zähnen, denn der Welpe hat noch keine fertig ausgebildete Beißhemmung. Diese wurde von uns zwar gut vorbereitet, ist aber durchaus personenbezogen und kann unterschiedlich stark ausfallen. Sicher haben wir Ihnen erklärt, dass der Welpe erst einmal ein paar Tage zur Ruhe kommen sollte und ankommen darf im neuen Zuhause.

Was ist denn Ankommen? Das Lernen von Routinen und Abläufen, die neuen Gerüche, das Erkunden der neuen Umgebung. Mit Ankommen ist nicht gemeint, nach drei oder fünf Tagen in die Welpengruppe, zur Willkommensparty oder zum Tierarzt geschleppt zu werden (mit Ausnahme eines medizinischen Notfalls natürlich).
Ankommen bedeutet, die neue Situation erfassen zu können und dafür braucht der Welpe wie auch jeder Hund Ruhe und Regeln, die er verstehen kann.
Wir erwarten von einem Welpeninteressenten, dass er nicht bei der ersten Schwierigkeit die Flinte ins Korn wirft, sondern sich bei Fragen vertrauensvoll an uns wendet. Denn wir haben ihm ebenso vertraut mit der Übergabe des Welpen oder Junghundes.

Leider hat sich besonders in den letzten Jahren gezeigt, dass Durchhaltevermögen oder auch nur die Bereitschaft, sich auf ein Lebewesen einzulassen, dessen Sprache und Ausdrucksverhalten zu erlernen, immer weniger wird. Die Auseinandersetzung mit dem hochsozialen Lebewesen Hund erfordert es, dessen Bedürnisse nicht nur einfach zu befriedigen. Sondern mit diesen und dem Hund so zu arbeiten, dass eine echte Kommunikation und damit eine Bindung wachsen kann.
Man kann hündisch lernen, wenn man dazu bereit ist. Man kann den Hund einfach nur füttern und mit ihm Gassi gehen. Aber was für eine Beziehung wäre das? Was würde man wohl alles verpassen ohne die Bereitschaft zur Kommunikation und Bindung? Denn der Hund bringt diese mit.

Was bedeutet es für den Welpen oder Junghund, wenn er nicht gesehen, nicht wahrgenommen wird? Und das mit all seinen Facetten? Und ja, da sind auch Ecken und Kanten dabei. Sonst wären es keine Terrier.
Der Welpe beißt überhall hinein? Dann ist der Mensch gefordert, dem Welpen zu zeigen, was ihm gehört und was dem Menschen gehört. Dass man in Dinge, die dem Welpen gehören, beißen darf und in die anderen eben nicht. Hilfsmittel, die nicht gut schmecken, wie etwa Bitter Apple Spray sind da sehr wertvoll. Hilfreich sind auch Kausachen, die sogar herumliegen dürfen. Zum Beispiel Kauhufe. Und nein, der Welpe wird nicht die Weltherrschaft übernehmen, wenn Spielzeug und Kausachen herumliegen, sofern er sich in Ruhe damit beschäftigen darf.

Der Welpe oder Junghund knurrt jemanden an oder verbellt Personen, Kinder oder andere Hunde? Ja, Hunde tun das. Zum Beispiel dann, wenn sie sich überfordert fühlen oder verunsichert sind oder wenn sie ganz einfach nur ausdrücken möchten, dass sie in Ruhe gelassen werden wollen. Eigentlich kann jeder, dessen Hund knurrt, froh darüber sein, dass der Hund sich ausdrücken kann ohne gleich ausfällig in Form von Beißen zu werden. Aber schon Knurren oder Bellen kann zu einer Abgabe führen weil – siehe oben. Man müßte sich auseinander setzen. Dem Hund zeigen, dass er nicht für die Situation verantwortlich ist, ihm Alternativverhalten beibringen.
Dafür muß man Durchhaltevermögen haben. Und ein echtes Commitment aufbringen können, um es neudeutsch zu sagen.
An der Situation wirklich arbeiten wollen.

Der Hund ist nicht stubenrein, der Jungrüde markiert? Dafür gibt es so viele Lösungen – aber die machen Arbeit, erfordern Nachdenken und vielleicht sogar die Bereitschaft, am eigenen Verhalten etwas zu ändern. Den Stresspegel für alle Beteiligten herunterzufahren. Für den Jungrüden möglicherweise eine Rüdenbinde oder eine Hausleine zu benutzen. Genauer hinzuschauen, woran das Problem liegt. Wird der Welpe nicht in bestimmten Zeitabständen vor die Tür gebracht? Markiert der Jungrüde weil irgendwo eine läufige Hündin ist? Oder er gerade in pubertärer Verwirrung schwebt und Tante Ernas antike Kommode nur zufällig im Weg stand?

Der Hund jagt Fahradfahrer, Jogger, Roller? Ihr Terrier ist ein Jagdhund, der angeleitet werden muss, diesen Jagdtrieb eben nicht an beweglichen Objekten wie Radfahrern, Rollern, Joggern auszuleben. Dazu gehört Erziehung, das Lernen von Alternativverhalten für den Hund. Alternativverhalten muss man dem Hund beibringen. Es erfordert Arbeit und Zeit.

Ebenso scheint es heute nicht mehr selbstverständlich zu sein, dass zu einem Zusammenleben von Kindern und Hunden auch eine Erziehung der Kinder gehört, damit es für alle klappt. Es ist nicht niedlich, wenn der Hund in der Umarmung des Kleinkindes beschwichtigend die Augen zusammenkneift und die Ohren anlegt.
Und es ist auch nicht witzig, wenn der Terrier das rennende Kind zu stoppen versucht. Da wäre es sehr hilfreich, beiden Regeln vorzugeben, dem Hund und dem Kind – bis der Terrier verstanden hat, dass es nicht sein Job ist, die Kinder zu erziehen.
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(Die Fotos zeigen auch die Anfänge unserer Hundehaltung)

Und Zeit … oh ja, da war noch die Zeit. Als mein Mann und ich unseren ersten Hund bekamen, eine schwarze Hündin, vermutlich einen Dobermann-Mischling, der aber vom vermittelnden Verein als Labrador ausgegeben wurde, weil sich das besser verkauft – also damals war alles anders. Oder nicht?
Uns war immer klar, dass ein Hund eine Verpflichtung ist und dass das jetzt unser Hund ist und wir zu dem stehen. Auch wenn dieser Hund gelernt hatte, bei Überforderung in Arme und Kleidung zu beißen, was anfangs wirklich häufig vorkam und uns eine Lederjacke und ein Jahr kostete. Auch wenn dieser Hund vorher ab der sechsten Lebenswoche bis zum siebten Lebensmonat an der Kette gehalten worden war und rein gar nichts kennen gelernt hatte.
Auch wenn direkt nach Einzug des Hundes eine ungeplante Schwangerschaft kam. Unsere erste Hündin war auch direkt eine Feuerprobe in puncto Hundehaltung. Dennoch haben wir nie darüber nachgedacht, sie abzugeben. Nach dem ersten Jahr mit ihr (und einem Baby) hatten wir schon viel erreicht. Aufgrund der Schwierigkeiten, die wir mit ihr hatten, wurde ich Hundetrainerin – aber das ist eine andere Geschichte.

Worauf ich hinauswill ist die Zeit. Ein Jahr für das erste Zusammenfinden ist total normal. Bis der Hund etwa zwei Jahre alt ist, liegt das Gröbste hinter einem. Dann gibt es Entwicklungsschritte des Hundes, meistens ändert sich am Feintuning noch etwa alle zwei Jahre etwas. Sei es, dass der Hund erwachsener und ernsthafter wird. Sei es, dass sich aufgrund von Entwicklungsphasen neue Baustellen auftun.

Aber Menschen haben heute keine Zeit mehr. Wenn der Hund nicht funktioniert, muß er nach vierzehn Tagen wieder weg. Natürlich sind die Motive dahinter sehr unterschiedlich, haben durchaus ihre Berechtigung und müssen ernstgenommen werden. Die Bereitschaft, etwas durchzuziehen, für etwas zu kämpfen, gerade weil man sich das vorher sehr gewünscht hat, ist aber leider oft nicht mehr vorhanden.

Ich hatte mir immer einen Hund gewünscht, unsere erste Hündin war die Erfüllung eines Lebenstraumes für mich. Und obwohl ich zuerst unsicher war, ob wir das schaffen könnten, gab es nie auch nur den Hauch eines Zweifels darüber,
dass wir mit diesem Hund eben auch ein neues Lernfeld hatten.
Eine Aufgabe, aus der sich Chancen und Möglichkeiten entwickelt haben. Und natürlich stand ich auch mal heulend mit Kinderwagen in den Reben, weil sie mal wieder abgehauen war oder der Rückruf nicht funktioniert hat und gleichzeitig das Baby seine Ansprüche geltend machte.

Und da sind wir wieder beim fühlenden Geschöpf. Ich bin eines. Der Hund auch. Bereit zu sein, das zu erkennen, empathisch zu sein und den Hund abzuholen wo er steht, erfordert Zeit (eine Menge!), Arbeit (eine Menge!), Commitment und die Bereitschaft, auch das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen. Und Durchhaltevermögen.
Denn wer einen Terrier hat, hat lebenslänglich. Lebenslänglich Freude an den lustigen Einfällen des Terriers, lebenslänglich Freude an dessen Kreativität, lebenslänglich Arbeit mit und am Terrier und möglicherweise eben auch an sich selbst.
Oh, und Humor. Der ist die Essenz der Terrierhaltung. Oder auch: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. ;)

Hier noch ein Auszug aus "Terrier! Sonst noch Fragen?" - der beleuchtet einige Aspekte dieser Hunde auch nochmal.

Was einen mit einem Terrier erwartet:
https://drive.google.com/file/d/1Ayv41GJgdMWyLWjdocYm0LiKsQG5deeL/view
 
Vielen Dank, das freut mich sehr! Ich habe es hier nur ergänzend reingestellt, weil es eben zum Text passt und weiterführend ist. Ich wünsche mir wirklich für die Zukunft, dass sich die Menschen wieder mehr Gedanken machen, was es bedeutet und von einem fordert, für einen Hund Sorge zu tragen, sich mit seinen Bedürfnissen zu beschäftigen, seine Sprache zu lernen - und dann eben auch noch die Feinheiten - oder vielmehr sollte ich wohl schreiben Grobheiten der Terriersprache ;)
 
Pflichtlektüre für Terrier-Masochisten (y);-)
Man bekommt, was man reinsteckt. Liebe, Zeit, Geduld, Verständnis, Konsequenz. Diese Investition lohnt sich.
 
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